Redebeitrag von Dr. Heinrich Fink anlässlich der Debatte um das Kunstwerk „Der Bevölkerung“ von Hans Haacke.

  • Portrait von Heinrich Fink

    Dr. Heinrich Fink

    Heinrich Fink war 1998 bis 2001 Mitglied des Deutschen Bundestages.

Redner 6 | Dr. Heinrich Fink

Dr. Heinrich Fink:
Liebe Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Peter Behrens von der Berliner jüdischen Eisengießerei die Giebelinschrift für den deutschen Reichstag gestaltete, verstand der deutsche Kaiser dieses sein deutsches Volk durchaus noch als seine Untertanen, die dann in demokratischen Gremien aktiv im Parlament streiten durften. Vaterlandsliebe und Treue zum Kaiser galten vielen als unaufgebbare Werte. Die beiden Kunstschmiede, die sich damals, als sie die Lettern „Dem Deutschen Volke“ in Metall setzten, noch als Deutsche zählen und fühlen durften, wurden ab 1935 durch den Arierparagraphen zu Undeutschen degradiert. Im Namen des nunmehr rassisch reinigenden deutschen Volkes ist der eine der Eisengießer in Plötzensee hingerichtet und der andere der Eisengießer in Theresienstadt ermordet worden.
1935 hat Bertolt Brecht in seinem im Exil verfassten Aufsatz über die fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit geschrieben. Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht. Diese Aussage – so Hans Haacke – habe ihn wesentlich inspiriert.
(Beifall bei Abgeordneten der PDS und der SPD)

Der hier eingebrachte Antrag, die Entscheidung des Kunstbeirates beim Bundestagspräsidenten, der beauftragt ist, mithilfe von Sachverständigen über die Kunst im Reichstag zu befinden, rückgängig zu machen, gilt meinem Eindruck nach nicht der künstlerischen Konzeption von Hans Haacke, sondern den beiden Worten „Der Bevölkerung“. Sie sind das eigentliche Ziel des Protestes. Das bestätigen mir auch die vielen Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern, übrigens – das ist für mich auch interessant – bis jetzt nur aus den alten Bundesländern, die ihrer Empörung oft sogar mit Begriffen aus brauner Vergangenheit Luft gemacht haben.
„Der Bevölkerung“ ist keine Umwidmung dieses geschichtsträchtigen Hauses, sondern bringt für das deutsche Volk 82 Jahre Ringen um demokratische Veränderungen künstlerisch gestaltet ins Wort
(Beifall bei Abgeordneten der PDS, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)und bringt damit Politiker, Gäste und Besucher hoffentlich dauerhaft in die Diskussion. Deshalb finde ich dieses Kunstwerk notwendig und deshalb gefällt es mir.
(Beifall bei der PDS und der SPD sowie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Hans Haacke lebt seit den 60er-Jahren in den USA und äußert sich seit Jahrzehnten als kritischer Demokrat in immer aufs Neue überraschenden Formen zur Demokratie und zu aktuellen, dringlichen Fragen des Lebens. Wurde Haacke nicht gerade deshalb um die Ausgestaltung des Lichthofes gebeten, weil man von ihm erwarten konnte, in die preußische Strenge Ungewöhnliches zu komponieren?
(Beifall bei der PDS und der SPD sowie des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])

Kolleginnen und Kollegen, jeder, der den Namen Haacke im Zusammenhang mit Kunst im Reichstag hörte, wusste doch, dass dies eine Provokation wird, und die Debatte zeigt es. Ich verstehe nicht, warum wir in unserem in politischen Kontroversen wahrlich erfahrenen Bundestag per Abstimmung diese ernsthafte demokratische Herausforderung eines namhaften Künstlers ausschlagen sollen. Alles, was wir im Bundestag entscheiden und als Gesetze festschreiben, ist doch für alle in Deutschland lebenden Menschen und nicht nur die Deutschen verbindlich. Für alle heißt: für die Bevölkerung.
(Beifall bei der PDS und der SPD)

Ich finde es ermutigend, dass Haacke der Bevölkerung Verständnis für dieses Projekt zutraut. Museumsdirektoren und Museumspädagogen vieler Städte, der Präsident der Bundesarchitektenkammer, Galeristen, Direktoren von Kunsthochschulen, Kunstvereine und auch Künstler haben in einem offenen Brief ihre Bitte an den Bundestag gerichtet, in Haackes Modell doch einen komplementären Bogenschlag und nicht etwa die Absage an die Giebelwidmung zu entdecken.
(Beifall bei der PDS und der SPD)

Sie jedenfalls sehen einen produktiven Widerspruch, der die Tradition hellwach vor dem Erstarren in Konventionen bewahren hilft. Ich sehe in Haackes Werk eine in eine interessante Form gebrachte wichtige Äußerung, ein monumentales Epigramm, das kein Anschlag auf die Verfassung, sondern ein Glücksfall für die Demokratie ist,
(Beifall bei der PDS und der SPD)

damit die möglicherweise sonst auch weiterhin verdrängte Auseinandersetzung über das deutsche Volk in der Bevölkerung in Gang gebracht wird.
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, dem vorliegenden Antrag nicht zuzustimmen, sondern es bei der Entscheidung des Kunstbeirates und seiner Sachverständigen zu belassen, um uns nicht dem Verdacht auszusetzen, dass Kunst in Zukunft parlamentarisch zensiert wird.
(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämtheit!)

Ich bitte Sie, uns diese Blamage zu ersparen.
(Beifall bei der PDS und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Joachim Otto, F.D.P.-Fraktion.