Redebeitrag von Volker Kauder anlässlich der Debatte um das Kunstwerk „Der Bevölkerung“ von Hans Haacke.

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    Volker Kauder

    Volker Kauder, Bundestagsabgeordneter seit 1990. 1991 – 2005 Generalsekretär der CDU von Baden-Württemberg. Seit 2005 Generalsekretär der CDU und Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Bundestag.

Redner 10 | Volker Kauder

Volker Kauder:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir entscheiden heute darüber, ob das Haacke-Kunstwerk „Der Bevölkerung“ im Reichstag installiert werden soll. Wir entscheiden aber nicht über Kunst, sondern führen eine politische Debatte. Es geht nicht um ästhetische Begriffe und schon gar nicht um die Frage von Kunstfreiheit. Die Kunst in Deutschland ist frei und auch durch diese Diskussion findet keine Zensur von Kunst statt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)

Was mussten wir im Vorfeld nicht alles lesen! Die Freiheit der Kunst sei in Gefahr, wenn wir es heute wagen sollten, Nein zu diesem Kunstwerk zu sagen. Wie soll denn die Freiheit der Kunst gefährdet werden, wenn es nur darum geht, zu entscheiden, wo dieses Werk aufgestellt wird? Hans Haacke kann es überall in Berlin aufstellen, nur nicht im Reichstag.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Ein sicherlich genauso abwegiges Argument, um uns hier einzuschüchtern, ist es zu sagen, es handle sich um das Werk eines renommierten Künstlers, das von renommierten deutschen Kunstsachverständigen für gut befunden worden sei.
Schließlich der Beitrag von Hans Haacke selbst. Er will ein Kunstwerk in das Reichstagsgebäude stellen mit der Überschrift „Der Bevölkerung“. Wenn sich aber einer aus dem Volk wie Michael Glos äußert, wird ihm von Hans Haacke beschieden, ein Müllermeister könne über sein Kunstwerk nicht urteilen. Welche Arroganz gegenüber einem Mann aus dem Volk, der über dieses Kunstwerk diskutieren will!
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wir alle können die Interpretation von Hans Haacke lesen und uns unsere eigene Meinung zu seinem Kunstwerk bilden. Ich sage Nein zur Aufstellung dieses Werkes im Deutschen Bundestag. Die zahlreichen Zuschriften von Deutschen, die dieses Kunstwerk ebenfalls ablehnen, haben mich in meiner Ansicht bestärkt.
(Zurufe von der SPD: Hoi!)

Ich lehne es ab, wie es hier gemacht wurde, allen Zuschriften nationalsozialistisches Gedankengut zu unterstellen. Es ist unglaublich, so etwas zu tun.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber 80 Prozent!)

80 Prozent, wird da gesagt. Sehr viele Menschen haben mir geschrieben, dass sie dieses Kunstwerk ablehnen und sich dadurch beleidigt fühlen.
Das einzige Ziel des Werkes von Hans Haacke ist die Provokation. Das ist Haackes „Kunstwerk“. Das ist nichts besonders Originelles! „Publikumsbeschimpfungen“ gab es auch schon früher.
(Zuruf von der SPD: Es ist keine Beschimpfung!)

Gerade in diesen Tagen müssen jüdische Menschen in New York unter Haackes ähnlich gestricktem Kunstwerk „Sanitation“ leiden. Sie haben geschrieben, sie fühlten sich durch dieses Kunstwerk beleidigt. Das können Sie in den Zeitungen nachlesen.
Es hat einen wirklich faden Beigeschmack, wenn einige Haacke-Anhänger die beleidigenden Aussagen angeblich nicht erkennen können und stattdessen von überzeugender Ausdruckskraft sprechen. Ist schon der konzeptionelle Rahmen des Kunstwerkes recht abgegriffen, so ist es vor allen Dingen die politische Grundaussage. Haacke geht dabei nach dem folgenden simplen Rezept vor: Man reduziere Deutschland, seine Geschichte und sein Volk auf die schrecklichen zwölf Jahre Nationalsozialismus, mische darunter dunkle Begriffe wie Volkssturm oder Volksgerichtshof; dann verzerre man alles bis ins abgrundtief Böse, Schlechte und Negative. Schließlich definiere man einen Gegenbegriff wie Bevölkerung, den man den Deutschen rasch als reinigende Lösung anbietet, und alles ist wieder gut.
(Hans-Werner Bertl [SPD]: Hören Sie auf! Das ist nicht mehr auszuhalten!)

Haacke sieht die Inschrift „Dem Deutschen Volke“ am Reichstag und gibt sich erschrocken, wie er formuliert. Dann fabuliert er über die unheilvolle Rolle des deutschen Volkes im 20. Jahrhundert, wobei die positiven Entwicklungen der letzten 55 Jahre und all das, was sich in diesem Land bewegt hat, bei ihm erkennbar nicht angekommen sind.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Er kommt zu einem unglaublichen Schluss, der schon vor dem Hintergrund unserer Verfassung unglaublich klingt: Für ihre Entscheidungen sind die Bundestagsabgeordneten nicht gegenüber einem mythischen Volke, sondern gegenüber der Bevölkerung verantwortlich. Ein Blick ins Grundgesetz hätte ihm gezeigt, dass alle Gewalt „vom Volke“ – vom deutschen Volke – ausgeht und die Abgeordneten in diesem Reichstag
(Zuruf von der SPD: Immer noch Bundestag!)

in erster Linie die Interessen des deutschen Volkes zu vertreten haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Dies hat der selbst erklärte Verfassungspatriot, wie eine Pressemitteilung vom 13. Februar 2000 zeigt, offenbar nicht verstanden. In dieser Presseerklärung versteigt sich Haacke zu folgender Formulierung: „Die rassistische Definition, wer zum deutschen Volk gehört, fordert auch heute noch Menschenopfer.“ Dies ist seine Erklärung für sein Kunstwerk. Eine solche Erklärung zu einem Kunstwerk will ich im Deutschen Bundestag nicht haben.
(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht also um Politik, nicht um Ästhetik. Daher wäre die Angelegenheit im Kunstbeirat letztlich auch nicht vom richtigen Gremium beraten worden. Es ist richtig, dass wir hier im Deutschen Bundestag der Bevölkerung klarmachen, ob wir uns von einer ideologischen Begründung Haackes an der Nase herumführen lassen wollen.
Herr Thierse, noch vor wenigen Tagen haben Sie hier in diesem Gebäude als einer der Hauptredner der Feierstunde zur ersten freien Volkskammerwahl das Volk als politischen Souverän gefeiert. Sie haben Ihre Freude darüber ausgedrückt, dass in der DDR die Zeit vorbei war, in der eine politische Kluft zwischen dem Volk auf der einen und den Abgeordneten der Nationalen Front der DDR auf der anderen Seite bestand.
Am 18. März 1990 ist in der DDR etwas zusammengewachsen, was zusammengehört, nämlich das souveräne Volk und seine Volksvertretung. Soll durch die Agitation eines Künstlers nur zehn Jahre später eine neue Kluft aufgerissen werden?
(Zurufe von der SPD: Oh!)

Dies wollen wir nicht!
(Beifall bei der CDU/CSU)

Wann, liebe Kolleginnen und Kollegen, lernen wir Deutschen endlich, uns normal zu benehmen,
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hoi!)

so normal wie die Franzosen und die Briten? Sie haben eine freiheitliche Lebensform für das souveräne Staatsvolk geschaffen und behandeln die nicht zum Volk gehörenden fremden Bewohner des Landes dennoch würdig. Hier in Deutschland glauben aber immer noch einige, dass man das deutsche Volk in einem negativen Licht darstellen muss, um ein guter Mensch zu sein. Dies ist nicht meine Auffassung.
(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage deshalb – und dies sage ich für die überwiegende Zahl der Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – Nein zu diesem simplen und für unser Haus unwürdigen Kunstwerk. Ich sage Nein dazu, dass der Versuch unternommen wird, das deutsche Volk verächtlich zu machen, auf eine kurze Zeit seiner Geschichte zu reduzieren.
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Buh!)

Ich sage Nein zu dem Versuch der Distanzierung des Deutschen Bundestages von seinem eigenen Volk.
Ich bitte Sie, dem Gruppenantrag zuzustimmen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Buh! – Pfui!)

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Abgeordnete Wolfgang Thierse, SPD-Fraktion.