1.) Nachdem der Kunstbeirat des Bundestages Ihrem Projekt zugestimmt hat, gibt es jetzt erste, aber deutliche Einwände, vor allem bei der CDU/CSU. Wundert Sie das?
Ich habe mich in meinem Leben schon über alles Mögliche gewundert. Ich bin dabei, es mir abzugewöhnen.
2.) Was halten Sie von der Vermutung, dass es nicht der demokratisch-integrative Impetus ist, der den Widerspruch einiger Abgeordneter erregt, sondern die an sie gestellte Forderung, sich an einer symbolischen Aktion zu beteiligen. Das heisst, dass Abgeordnete, die möglicherweise politisch mit Ihnen völlig übereinstimmen, durch ihre erwartete aktive Anteilnahme gleichsam genötigt werden, sich einem Kunstverständnis anzuschliessen, das gar nicht von ihrer ästhetischen Erfahrung gedeckt ist.
Durch die Annahme der Einladung, aus ihrem Wahlkreis Erde nach Berlin zu bringen und sie da mit der Erde ihrer Kolleginnen und Kollegen zu vermischen, schliessen sich die Abgeordneten keinem wie auch immer gearteten Kunstverständnis an. Es versteht sich im Übrigen von selber, dass ich niemanden zur Teilnahme zwingen kann noch will. Die gesellschaftliche Symbolik einer solchen Aktion, die Gleichheit und solidarisches Handeln assoziiert, ist älter und wohl auch etwas anders motiviert als die Symbolik verwandter künstlerischer Praktiken des 20. Jahrhunderts (in meiner eigenen künstlerischen Praxis gibt es Vorläufer, die bis in die 60er Jahre zurück reichen). Historiker und Anthropologen hätten sicher etwas dazu zu sagen. Das partizipatorische Unternehmen mündet in einem Wachstumsprozess voller Überraschungen und ohne jegliche Reglementierung. – Zur Praxis: Ich würde den Abgeordneten für den Transport der Erde zwei Halbzentnersäcke zur Verfügung stellen, die – wie andere Mitbringsel aus dem Wahlkreis – durch ein Transportunternehmen, im Fluggepäck oder im eigenen Wagen ohne Umstände nach Berlin geschafft werden können. Der Symbolik täte es keinen Abbruch, wenn die Abgeordneten das Ausstreuen der Erde um die Widmung DER BEVÖLKERUNG herum dem Personal des Hauses überliessen und nicht als Fototermin wahrnähmen. Ich könnte ich mir vorstellen, dass es unter den Wählern Diskussionen über die Frage gibt, von welchem Ort im Wahlkreis ihre symbolische Präsenz im Parlamentsgebäude stammen soll. Die Aktion sollte Spass machen und nicht als Pflichtübung empfunden werden.
3.) Ihr Vorschlag, Ihre Arbeit „Der Bevölkerung“ und nicht „Dem deutschen Volke“ zuzueignen verblüfft auf den ersten Blick, weil das Stammwort von „Bevölkerung“ dennoch „Volk“ ist. Sie haben den nationalistischen Aspekt an der Parole „Dem deutschen Volke“ moniert, aber auch den Volksbegriff und die damit verbundenen Assoziationen von Fremdenfeindlichkeit, Volkspolizei und Volkssturm an sich. Es liegt auf der Hand, danach zu fragen, ob der Begriff des Volkes denn tatsächlich nur negativ besetzt sei, wenn man auch an andere Wortverbindungen denkt: Volksschule, Volksbefragung, Volksdichtung, aber auch Völkerrecht und – Volksvertreter, an die sich die Arbeit ja wendet, auch wenn sie politisch mehr als das deutsche Volk repräsentieren. Haben nicht Begriffe eine genauso ambivalente Geschichte wie deren Gebrauch? Wie sehen Sie den geschichtlichen Aspekt in Ihrem Beitrag?
Natürlich steckt in dem Wort „Bevölkerung“ das Wort „Volk“. Ich zitiere auch die von Peter Behrens für die Fassade entwickelte Schrifttype. Nur so wird die Beziehung und zugleich der wesentliche Bedeutungsunterschied zwischen den beiden Begriffen erkennbar.
Der Begriff des Volkes hat eine zwiespältige Geschichte. 1789 was es das peuple français, das die Bastille stürmte und die Republik ausrief. Eben diese revolutionäre Anmutung war es, die Wilhelm II. bewog, die von Wallot vorgesehene Widmung am Reichstagsportal 21 Jahre lang zu verhindern. Erst als 1915 der Enthusiamus für das Kriegspielen zu erlahmen drohte, liess er sich umstimmen. Er stellte dann sogar zwei in den napoleonischen Kriegen erbeutete Kanonen zum Einschmelzen für die ungeliebte Inschrift zur Verfügung. Die erhoffte Stärkung der Heimatfront war ihm das wert. Wallots projektierte Huldigung an die Nutzer seines Gründerzeitmonstrums hatte sich im grossen Krieg der Nationen am Anfang des Jahrhunderts in eine martialischen Parole verwandelt.
Zwei Söhne der Bronzegiesser, die 1916 die Buchstaben für die Widmung DEM DEUTSCHEN VOLKE hergestellt hatten, wurden ermordet, der eine in Plötzensee, der andere in Auschwitz. 113 Reichstagsabgeordneten wurde ihre Zugehörigkeit zum deutschen Volk aberkannt. 75 von ihnen kamen in der Haft um, acht verübten Selbstmord. Es ist wohl über die ortsspezifischen Aufschlüsse hinaus nicht nötig, die bekannten, fürchterlichen Folgen der „völkischen“ Interpretation des Begriffes hier noch einmal zu rekapitulieren.
In seinem Aufsatz über die „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“ schrieb Bertolt Brecht 1935 im Exil: „Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung sagt […], unterstützt schon viele Lügen nicht.“ Brecht hatte auch einen relevanten Kommentar zum 17. Juni 1953. Er empfahl den Oberen der DDR, die gerade ihre proklamierte Identifikation mit der klassenkämpferischen Tradition des Volkes verspielt hatten, das Volk einfach aufzulösen und sich ein anderes zu wählen. Dummerweise sind sie diesem Rat nicht gefolgt. Das Volk – im Sinne der französichen Revolution – kündigte ihnen dann seinerseits fristlos im Herbst 1989. Zum 10. Jubiläum des Ereignisses verkündete am Berliner Alexanderplatz ein triumphierendes und zugleich wehmütiges Riesentransparent „Wir waren [sic] das Volk“.
In der deutschen Geschichte finden wir also durchaus den Volksbegriff in der emanzipatorischen Tradition der Liberté, Égalité, Fraternité. Daher Worte wie Volksvertreter, Volksbühne, Volksschule, usw.. Daneben ist der Volksbegriff aber – insbesondere in der Wortkombination „deutsches Volk“, die eine mythische, ausgrenzende Stammeseinheit impliziert – mit einem radikal undemokratischen Verständnis der res publica assoziiert. Es ist dieses spätestens seit der Invasion der Römer dubiose Ahnenpassdenken, das den Verbrechen der „Volksgenossen“ den Weg bereitet hat. Und es ist dieser eine Blutsgemeinschaft suggerierende Volksbegriff, der immer noch Unheil stiftet, wie es Wahlergebnisse und rassistisch motivierte Gewalttaten belegen.
In Artikel 3 des Grundgesetzes heisst es: „Alle Menschen sind gleich…Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Dieser Artikel gilt ausdrücklich für alle Menschen nicht etwa nur für Angehörige eines völkisch, durch den Reisepass oder in anderen Weise definierten deutschen Volkes. Trotz Grundgesetz und trotz Engagement zahlloser Menschen und Institutionen kann aber von allgemeiner Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit im Lebensalltag auch heute leider immer noch nicht gesprochen werden.
4.) Denken Sie, dass mit der sprachlichen Kritik historisch geprägter Formen eine notwendige Veränderung des kollektiven Bewusstseins zu erreichen ist?
Das allein reicht natürlich nicht. Wenn aber am Sitz eines der höchsten Verfassungsorgane der Bundesrepublik die historische Dimension dieser unglücklich belasteten Beschwörungsformel ins Bewusstsein gerückt wird, könnte das ein gesellschaftlich bedeutsames Signal sein.
5.) Ist die Akkumulation symbolgeladener (fast archetypischer) Begriffe und Assoziationen in Ihrer Arbeit – „Erdanteil“ in einem „Holztrog“ im „nördlichen Lichthof“ des „Reichstages“ – nicht an sich schon eine Überlast, die das Leichte, Prozesshafte des Wachstumsgedankens, der doch als positive Metapher für Vielfalt, Offenheit und demokratische Entwicklung von Gleichen steht, Ihrerseits konterkariert?
Ich verwende das Wort „Reichstag“ wie der Historiker Michael S. Cullen es in seinem gleichnamigen Buch tut, d.h. nur in Bezug auf die Geschichte des Hauses. Im übrigen spreche ich immer vom Reichstagsgebäude. Der „nördliche Lichthof“ ist eine geographische Bezeichnung, den die für den Bau zuständige Bundesbaugesellschaft benutzt. Es gibt auch einen südlichen Lichthof, in dem Ulrich Rückriem eine Arbeit installiert hat. Die Aussenwände der projektierten Vegetationsfläche bestehen aus Rubinienholz, das im Laufe der Zeit oxydiert und grau aussehen wird. Ich verstehe nicht, wie dieses von Dachbegrünungsfirmen empfohlene, dauerhafte und keiner Pflege bedürftige Material das „Leichte, Prozesshafte des Wachstumsgedankens“ konterkarieren könnte. Und was den „Erdanteil“ angeht: die Rede ist von dem Teil des gesamten Erdvolumens im Holztrog, den jeder einzelne Abgeordnete beisteuert. Auch das ist, wie ich meine, ein beschreibender und kein symbolgeladener Terminus.
6.) Gerade jetzt wird in Deutschland vehement um den Umgang mit den Relikten der Nazizeit gestritten. In den Bundestagsbüros in Berlin fand man jetzt Hakenkreusmäander über Türstürzen, in Nürnberg gab es ein Symposium zu der Frage, ob man sich mit dem Nationalsozialismus an Orten museal auseinandersetzen könne, die deren architektonische Rhetorik bewahren. Muss man nicht lernen, mit den Provokationen einer verabscheuten Hinterlassenschaft umzugehen, indem man die Auseinandersetzung mit diesen Provokationen provoziert? Ist Ihre Arbeit so zu verstehen? Und könnte dann die Frage, ob ein Begriff wie „Volk“ lieber abgeschafft gehört, als eine Position missverstanden werden, die solchen Provokationen eher aus dem Weg geht?
Als ich 1993 bei der Biennale in Venedig gefragt wurde, ob der von Hitler umgerüstete deutsche Pavillon abgerissen werden sollte, war meine Antwort, so würde man nicht mit der deutschen Geschichte fertig. Wallots Inschrift DEM DEUTSCHEN VOLKE gehört zum Reichstagsgebäude genauso wie die Graffiti der sowjetischen Truppen. Wir sollten uns aber mit der fatalen historischen Aura, die der ursprünglich emanzipatorisch gemeinten Widmung inzwischen anhaftet, ohne Scheu auseinandersetzen und klarstellen, wie wir sie heute auf keinen Fall verstanden wissen wollen. Und vorwärts gewandt, wäre es wohl gut, den veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten in Deutschland Ausdruck zu verleihen. Beides versuche ich mit meiner von Brecht inspirierten Widmung DER BEVÖLKERUNG.