Redebeitrag von Dr. Antje Vollmer anlässlich der Debatte um das Kunstwerk „Der Bevölkerung“ von Hans Haacke.

  • Portrait von Dr. Antje Vollmer

    Dr. Antje Vollmer

    Antje Vollmer war 1994 bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages und zum Zeitpunkt der Debatte dessen Vizepräsidentin.

Dr. Antje Vollmer:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden hier ja nicht fraktionsmäßig, sondern frei pro und kontra. Ich rede für diesen Antrag und damit gegen die Installation des Kunstwerkes.
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Auch ich habe, je länger die Debatte über das Haacke-Projekt dauert, den Eindruck, dass immer schwerere Geschütze aufgefahren werden, dass immer größere Tabu-Zäune aufgerichtet werden. Ich plädiere ganz entschieden für Abrüstung in dieser Frage, auch für Abrüstung beim Pathos, und wenn möglich für nüchterne, praktische Vernunft.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zunächst möchte ich Hans Haacke, der auf der Zuschauertribüne sitzt, gratulieren. Ob ihm ein Kunstwerk gelungen ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Darüber sollen auch andere entscheiden. Ein Kunststück hat er allemal vollbracht: Er ist der Erste, dem es gelungen ist, über sein Kunstwerk die Ehre zu haben, eine Debatte im Deutschen Bundestag erzeugt zu haben.
(Zuruf von der CDU/CSU: Christo!)

Er wollte eine Debatte über das Begriffspaar „Volk“ und „Bevölkerung“. Ich finde, wir sind ihm da nichts schuldig geblieben. Für einen Prozesskünstler ist das schon ein richtig schöner Erfolg, und dafür habe ich auch Respekt.
Das, worüber wir heute diskutieren, ist aber ein ganz praktisches Problem: Wie kann ein Kunstwerk realisiert werden, das essenziell zu seiner Verwirklichung die Teilnahme von frei gewählten Abgeordneten dieses Bundestages an einem, wie auch ich finde, höchst merkwürdigen und geradezu skurrilen Erdritual erfordert?
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich gehöre zu denen, die sich einfach nicht vorstellen können, dass zum Beispiel der Abgeordnete Jörg van Essen, die Abgeordnete Angela Merkel, der Abgeordnete Rezzo Schlauch, die Abgeordnete Elke Leonhard und der Abgeordnete Gregor Gysi hier eines Tages mit einem Eimer oder einem Sack Erde ankommen
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

und darauf warten, dass sie diese im nördlichen Lichthof auskippen dürfen, um sich so von nationalen Begriffen und Überzeugungen quasi zu reinigen.
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Frau Kollegin Vollmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Antje Vollmer:
Da ich nur fünf Minuten Redezeit habe, möchte ich im Zusammenhang sprechen. Hinterher beantwortete ich gern noch eine Frage.
Man kann für diesen Vorgang, der den Abgeordneten indirekt aufgenötigt wird, dramatische Begriffe finden. Man kann aber auch sagen: Es ist so skurril, dass es schlichte, gute Gründe dafür gibt, wenn jemand sagt, daran wolle er nicht teilnehmen. Das ist genau der Punkt: Was macht der Künstler Hans Haacke, wenn er es nicht schafft, genügend Abgeordnete von der Sinnhaftigkeit dieses Projekts zu überzeugen? Ich glaube, darin liegt ein Bruch, ein Nichtgelingen der künstlerischen Konzeption. Und weil das Kunstwerk eben diese konzeptionelle Schwäche hat, wird, glaube ich, so massiv tabuisiert und nachmoralisiert.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich möchte deutlich sagen: Ich finde, wir sollten uns dieser Art „Gesinnungs-TÜV“ nicht unterziehen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der F.D.P. – Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Wer gegen das Kunstwerk ist, signalisiert damit nicht, dass er „rechts“ ist. Wer für das Kunstwerk und damit für die Benutzung dieser eigenartig mythischen Substanz der Erde ist, signalisiert damit nicht, dass er der Kunstfreund schlechthin ist.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Man wird sagen, es gehe um die Freiheit der Kunst. Richtig, sage ich, aber es geht auch um die Freiheit von Abgeordneten und darum, wofür sie sich selbst entscheiden, wenn sie denn Teil dieses Kunstwerks sein sollen.
Ich wünschte mir, der Kunstbeirat, dem ich seit Beginn dieser Legislaturperiode angehöre, hätte in dieser Frage etwas mehr Weisheit und Klugheit gehabt.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der F.D.P.)

War es wirklich klug, den deutschen Parlamentariern keine Wahl zu lassen, keine Wahl, wie sie zum Beispiel die französischen Kollegen hatten? Denn auch in Frankreich hat Herr Haacke mit einem Projekt kandidiert. Er ist geehrt, aber nicht gewählt worden. Damit war die Sache auch elegant erledigt.
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich finde, das deutsche Parlament hat den Vorwurf, der ihm von einigen Kunstpäpsten und Kunstkardinälen gemacht wird, wirklich nicht verdient. Ich bitte auch diese: Geben Sie doch endlich Gedanken- und Entscheidungsfreiheit!
(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Übrigens: Auch Künstler sind Menschen. Man kann sich mit Künstlern streiten. Man darf sich mit ihnen auseinander setzen. Man muss sie nicht auf ein unantastbares Podest setzen. Dann täte man den Künstlern und auch ihrer Kunst Unrecht. Aus einer Debatte mit den Künstlern heraus ist zum Beispiel die Kuppel auf diesem Reichstagsgebäude entstanden. Herr Foster wollte sie nicht; sie ist aus der Debatte heraus entstanden.
(Zurufe von der CDU/CSU: Genau! – Richtig!)

Gönnen Sie doch dem Parlament und den Künstlern diese Form von Auseinandersetzung!
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)

Wenn wir über Freiheit von Kunst reden, dann muss angesichts dessen, was wir gekauft haben – das sind im Wesentlichen dieselben Werke, wie Sie sie in jedem modernen Museum finden -, auch einmal über gewisse Mächte im Kunstmarkt, über geschlossene Klubs und über Gruppen, die sich gegenseitig beraten und fördern, gesprochen werden. Was mir am meisten Leid tut, ist, dass wir trotz der 40 Millionen DM, die wir für die Gegenwartskunst ausgeben – ein unglaubliches Signal -, fast keine unbekannten Künstler haben, dass die Künstler der letzten Jahrzehnte keine Chance haben und dass die Künstler der nächsten Jahrzehnte keine Chance haben, weil das Geld ausgegeben ist.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)

Darüber sollten wir einmal eine Debatte führen. Das hat ganz viel mit der Freiheit der Kunst zu tun, aber auch mit der Freiheit des Wortes der Abgeordneten.
Danke.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Heinrich, F.D.P.-Fraktion.