Redebeitrag von Franziska Eichstädt-Bohlig anlässlich der Debatte um das Kunstwerk „Der Bevölkerung“ von Hans Haacke.

  • Portrait von Franziska Eichstädt-Bohlig

    Franziska Eichstädt-Bohlig

    Franziska Eichstädt-Bohlig war 1994 bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages.

Franziska Eichstädt-Bohlig:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will versuchen, ein bisschen zur Abrüstung beizutragen, die Antje Vollmer zwar gefordert, aber meiner Meinung nach nicht geleistet hat.
(Beifall bei der SPD und der PDS)

Ich möchte auch ein bisschen zu der kritischen Auseinandersetzung beitragen, die Norbert Lammert eingefordert hat. Ich glaube nicht, dass die, die sich für das Projekt – und damit gegen den Antrag, den Sie gestellt haben – aussprechen, dies in demütiger Bewunderung, sondern sehr wohl überlegt und durchdacht tun.
Noch einmal zur Vorgeschichte: Als der Kunstbeirat in der letzten Legislaturperiode beschloss – ich glaube, einstimmig, Herr Kauder war dabei; wir haben es intensiv besprochen -, Hans Haacke zu beauftragen, wussten wir fraktionsübergreifend, was wir taten. Wir wussten, dass wir einen Künstler beauftragen, der die Politik durchaus provoziert und zur Auseinandersetzung mit der Kunst herausfordert, einen Künstler, der Politik und Kunst in eine spannungsvolle, untrennbar miteinander verwobene Wechselbeziehung setzen möchte. Wenn wir heute entscheiden, dass dieses Projekt nicht verwirklicht wird, dann entscheiden wir auch, dass diese Hand wieder zurückgezogen wird. Ich glaube, dies ist eine Dimension, die wir bedenken sollten.
Meiner Meinung nach ist das Spezielle an diesem Projekt, über das wir diskutieren, dass es ein Denkwerk und nicht nur ein Kunstwerk ist.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der SPD und der PDS)

Wir sind es gewohnt, dass Kunstwerke primär an unsere Gefühle, an unser unterbewusstes Assoziationsvermögen appellieren. Demgegenüber schafft Haacke die Herausforderung zur Aufklärung, zum Denken. Er zwingt uns regelrecht zur Selbstreflexion unseres Handelns. Meiner Meinung nach stellt er gerade uns Parlamentariern zwei Fragen und wirkt damit – ich habe damit keine Probleme, Herr Kollege Lammert – sehr wohl aufklärend. Er fragt uns: Für wen macht ihr Politik? Ausschließlich für deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger oder für alle Menschen, die auf deutschem Boden leben?
Die zweite Frage, die er uns stellt, die schon Gegenstand der Diskussion war, ist: Könnt ihr eigentlich mit dem Boden, der uns alle trägt und nährt, natürlich und unverkrampft umgehen oder steht ihr immer noch im Banne der Blut-und-Boden-Mythen des Nationalsozialismus? Ich muss sagen, dass ich nicht alle Antworten teile, die Haacke selbst mit seiner Projektinterpretation gegeben hat.
Zunächst einmal – das möchte ich hier deutlich sagen, gerade auch in Richtung Antragsbefürworter – bin ich nicht der Ansicht, dass die Inschrift „Dem Deutschen Volke“ durch den Faschismus so dauerhaft entwürdigt worden ist, dass man das Wort „deutsches Volk“ nicht mehr aussprechen darf. Ich glaube schon, dass wir zu einer so engagierten demokratischen Politikkultur gefunden haben, dass es uns wieder erlaubt ist, auch selbstbewusst zu unserer deutschen Identität zu stehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn das so ist – das sollten wir gemeinsam so sehen, egal, wie wir zu dem Projekt stehen -, bin ich der Meinung, dass wir diesen Denkanstoß, den uns Haackes Projekt gibt, wirklich nutzen sollten; er ist richtig und wichtig. Denn die Diskussion der letzten Wochen zeigt, wie viele Menschen immer noch Identitätsschwierigkeiten haben. Deswegen müssen wir über Begriffe wie „deutsches Volk“ und „deutsche Bevölkerung“ weiterhin einen Dialog führen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])

Auch die zweite Frage, die uns Haacke stellt, kann unterschiedlich beantwortet werden. Ich selbst habe mit dem Erdritual auch so meine Probleme. Ich werde hier kein Säckchen Erde hinschleppen. Aber ich habe mit vielen jüngeren Kollegen gesprochen, die mich fragen: Welche Schwierigkeiten hast du mit der Heimaterde? Die sind durchaus bereit, Heimaterde – nicht nur Wahlkreiserde, Herr Haacke – mitzubringen. Sie sagen, gerade unsere Grünen: Das wollen wir mit Hanfsamen und Sonnenblumen bepflanzen, da soll optimistisch und fröhlich etwas wachsen.
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es ist durchaus legitim, den Denkanstoß in Sachen Erde mythisch, problematisch, nationalsozialistisch beschwert oder auch fröhlich und optimistisch zu sehen. Denn wir müssen nicht dieselben Antworten im Kopf und im Herzen haben, wenn wir dieses Projekt befürworten. Ich wünsche mir aber, dass wir den Mut haben, die Fragen, die Haacke aufwirft, und das Denken, das er uns abverlangt, auch wirklich zuzulassen: nicht nur mit Blick auf uns hier und heute in dieser Diskussion, sondern auch mit Blick auf die kommenden Parlamentarier- und Besuchergenerationen, die diese Inschrift lesen und dadurch selber zum Denken angeregt werden.
Ich werbe dafür, den vorliegenden Antrag abzulehnen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS)

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Volker Kauder von der CDU/CSU-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da der Saal jetzt schon sehr voll und auch der Lärmpegel sehr hoch ist, möchte ich ausdrücklich darum bitten, auch den letzten beiden Rednern in dieser Debatte die entsprechende Aufmerksamkeit zu zollen.