Redebeitrag von Hanna Wolf anlässlich der Debatte um das Kunstwerk „Der Bevölkerung“ von Hans Haacke.

  • Portrait von Hanna Wolf

    Hanna Wolf

    Hanna Wolf war 1990 bis 2002 Mitglied des Deutschen Bundestags.

Hanna Wolf:
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stimmen heute über Hans Haackes Kunstprojekt ab, weil er für seine Erdinstallation nicht etwa ein Gartencenter beauftragen will, sondern alle 669 heutigen und auch alle zukünftigen Abgeordneten zum Mitbringen eines Zentners Erde aus ihrem Wahlkreis auffordert. Dadurch werde ich zur Mitgestalterin. Weil ich den Künstler ernst nehme, will ich auch begründen, warum ich nicht mitmachen werde. Die fürsorglich bevormundenden Briefe, die wir alle bekommen haben, und die herablassenden Artikel in einigen Feuilletons über die Kompetenz von Politikern
(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

veranlassen mich auch zum öffentlichen Widerspruch.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Der Kunstbeirat wird nicht desavouiert, wenn das Plenum heute über diesen Vorschlag abstimmt. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass der Kunstbeirat die Entscheidung von sich aus offen gehalten hätte,
(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

da ja jede und jeder Abgeordnete sich aktiv beteiligen soll.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)

So begeistert ich von Anfang an über die Verhüllung des Reichstages durch Christo und Jeanne-Claude war, Haackes Installation kann ich nicht mitgestalten. Bevor ich einige meiner Gründe nenne, distanziere ich mich aufs Schärfste von zynischen, ausländerfeindlichen Sprüchen, die ich leider auch von der Seite einiger gelesen habe, die das Haacke-Konzept ablehnen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der PDS – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Der Herr Glos!)

Mit den Ansichten eines Herrn Glos zum Beispiel mache ich mich nicht gemein.
(Monika Griefahn [SPD]: Er hat gesagt, die Inder sollten das machen!)

Zu meinen Gründen. Erstens. Die Inschrift im Giebel des Reichstagsgebäudes „Dem Deutschen Volke“ war in der Entstehungszeit, wie Haacke selber schreibt, „eine Herausforderung für den Kaiser, der deshalb ihre Realisierung lange zu verhindern wusste. Der Kaiser spürte wohl einen Hauch der französischen Revolution.“ Dass die Nazis diesen Begriff missbraucht haben, gehört zur Tragik unserer Geschichte. Aber 1989 riefen die Menschen in Leipzig: „Wir sind das Volk!“ Es war eine Provokation für die DDR-Machthaber, und niemand hat es chauvinistisch verstanden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)

Diese revolutionäre Tradition des Begriffs Volk möchte ich nicht begraben sehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zweitens. 1999 ist der Deutsche Bundestag von Bonn nach Berlin in das Reichstagsgebäude umgezogen. Bei meiner Arbeit als Bundestagsabgeordnete gilt für mich das Grundgesetz. In Artikel eins des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
In Artikel drei Satz eins des Grundgesetzes steht: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“
Hier wird ohne Einschränkung immer von den Menschen gesprochen, das heißt, von allen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben. Das Grundgesetz ist mir Auftrag genug. Einer weiteren Erinnerung bedarf es nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Drittens. Hans Haacke – das ist für mich der gravierendste Grund – hat sich immer wieder mit der Nazidiktatur auseinandergesetzt. Umso irritierter bin ich, dass er eine durch die Nazis besetzte Erdkultsymbolik seiner Installation zugrunde legt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)

Hatten doch die Nazis aus allen deutschen Gauen – wie es damals hieß – Erde zu den Olympischen Spielen nach Berlin gekarrt. Einen Erdkult kann und will ich nicht mittragen. Ich halte ihn für peinlich und mystifizierend.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Hans Haacke versteht sich als politischer Künstler und ich erwidere ihm ebenfalls politisch: Die Debatte über die Inschriften „Volk“ oder „Bevölkerung“ hat meiner Meinung nach ihren Zweck bereits erfüllt. Die Erdsymbolik halte ich für politische falsch. Wenn viele Bundestagsabgeordnete die Mitgestaltung aus unterschiedlichen Gründen ablehnen, sollte Haacke selber sein Konzept zurücknehmen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich hätte mir auch gewünscht, er hätte wie Christo eine neue Metapher gefunden, statt mit alter Symbolik zu arbeiten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Jetzt spricht der Kollege Dr. Heinrich Fink, PDS-Fraktion.