Redebeitrag von Hans-Joachim Otto anlässlich der Debatte um das Kunstwerk „Der Bevölkerung“ von Hans Haacke.

  • Portrait von Hans-Joachim Otto

    Hans-Joachim Otto

    Hans-Joachim Otto war 1990 bis 1994 und anschließend erneut von 1998 bis 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Zum Zeitpunkt der Debatte war er Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion für Kultur und Medien.

Hans-Joachim Otto:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es vorweg zu sagen: Hans Haackes Projekt überzeugt mich nicht in seiner Ästhetik und schon gar nicht in seiner politischen Symbolik und deswegen möchte ich es nicht in unserem Hause haben.
In den Erläuterungen zu seinem Projekt bezeichnet Hans Haacke die Giebelaufschrift „Dem Deutschen Volke“ als eine nationalistische, exklusive Parole. Das ist nichts weniger als eine Geschichtsklitterung. In Wahrheit wurde die Widmung in einem Akt republikanischer Emanzipation 1915 gegen den Widerstand des Kaisers durchgesetzt und hat deswegen einen verfassungspatriotischen, geradezu partizipatorischen Ursprung.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wenn Hans Haacke den Begriff des deutschen Volkes noch immer für durch die Propaganda sowohl der NSDAP als auch der SED belastet hält, so übersieht er, dass zumindest die mutigen DDR-Bürger 1989 mit ihrem Freiheitsruf „Wir sind ein Volk“ – ein deutsches Volk – diesen Begriff rehabilitiert und ihm seinen demokratischen Klang zurückerobert haben.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Mein schwerster Vorwurf: Haackes Projekt leidet unter einer höchst widersprüchlichen Symbolik. Wenn er den Volksbegriff durch Hitler als dauerhaft besudelt ansieht, dann gilt dies mindestens in gleichem Maße für das von ihm beabsichtigte Ritual der Erdbeschaffung.
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Man muss dieses nicht mit den Olympischen Spielen 1936 und nicht mit der NS-Weihestätte in der Quedlinburger Stiftskirche vergleichen, in der 1940 Urnen mit Erde aus allen deutschen Gauen deponiert worden sind und die dort heute noch stehen. Jedenfalls belastet die Blut- und Boden-Mythologie der Nazis diese von ihm gewünschte Symbolik einer Beschaffung von Heimat-erde.
Einen weiteren Widerspruch in Haackes Projekt sehe ich darin, dass die von ihm ausdrücklich angestrebte Provokation die gleichzeitig geforderte Partizipation möglichst aller Abgeordneten verhindert: Wie viele von uns, frage ich Sie, werden wohl ihr Eimerchen Heimaterde herschaffen, wenn wir hiermit zu einer Umwidmung des Parlaments beitragen sollen, die zwar dem Wunschbild des Künstlers, nicht aber unserem Grundgesetz entspricht? Hier liegt der entscheidende Unterschied zu Christos Projekt der Reichstagsverhüllung, dem ich seinerzeit mit großer Begeisterung zugestimmt habe: Christo hatte ein überzeugendes, ein tragfähiges, ästhetisches Konzept entwickelt.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Er hatte es nicht nötig, die Mitglieder des Bundestages für seine politischen Überzeugungen zu instrumentalisieren. Er hat mit Ästhetik geworben und nicht mit politischen Hintergedanken.
Es ist wahr: Kunst hat durchaus das Recht und vielleicht auch die Pflicht, sich in Politik einzumischen. Wir Politiker haben aber doch nicht die Pflicht, über jedes uns von Künstlern hingehaltene Stöckchen zu springen.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Bei dieser Abstimmung geht es – da hat der Kollege Dr. Lammert völlig Recht – um ein Stück Selbstachtung dieses Parlaments auch gegenüber seiner eigenen Geschichte.
(Beifall des Abg. Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle erkennen die Freiheit der Kunst an; wir erkennen aber nicht ein ästhetisches Monopol für Kunstsachverständige und des Kunstbeirates an.
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

Haben Sie daher Mut zu einer eigenen, zu einer persönlichen, zu einer souveränen Entscheidung! Stimmen Sie für den Gruppenantrag!
Vielen Dank.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Rita Süssmuth, CDU/CSU-Fraktion.