Bundestagsdebatte
Bereits die erste Präsentation des Entwurfes zu DER BEVÖLKERUNG am 7. September 1999 wurde vom Kunstbeirat kritisch hinterfragt. Die historischen Bedeutungen der Begriffe “Volk” und “Bevölkerung”, sowie die Verknüpfung dieser mit dem Begriff “Erde” wurden diskutiert. Die Kontroverse zog sich in den öffentlichen Medien mit der Frage weiter, ob die neue Leuchtschrift die zentrale Giebelinschrift „DEM DEUTSCHEN VOLKE“ korrigiere oder nur in Frage stelle. Zudem gab es Kritik an der Berechtigung des Kunstbeirates, über ein Kunstprojekt mit grundlegenden politischen Implikationen zu entscheiden. Am 25. Januar 2000 nahm der Kunstbeirat in einer Pressemitteilung zu all diesen Fragen Stellung. Auf der Grundlage eines Gruppenantrages befasste sich am 5. April 2000 das Plenum in einer einstündigen Aussprache mit dem Projektvorschlag Hans Haackes. Weitere Details zur Bundestagsdebatte werden unten beschrieben.
Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU)
Der Deutsche Bundestag führt heute eine Debatte, die vermutlich in keinem anderen Parlament der Welt stattfinden würde. Weder der amerikanische Kongress noch das englische Unterhaus und schon gar nicht die französische Nationalversammlung würde auch nur darüber diskutieren, was hier heute ernsthaft zur Entscheidung ansteht: der Widmung des Reichstagsgebäudes „Dem Deutschen Volke“ eine künstlerisch politische Installation entgegenzusetzen, die „Der Bevölkerung“ gewidmet ist. … mehr
Gert Weisskirchen (SPD)
Die Spannungen – Herr Kollege Lammert, so würde ich es bezeichnen – zwischen der Giebelinschrift und dem Kunstwerk von Hans Haacke machen nichts anderes deutlich, als dass es in unserer Gesellschaft eine wachsende Pluralität bzw. Vielfarbigkeit gibt. Ohne Pluralität ist Modernität nicht zu gewinnen. … mehr
Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zunächst möchte ich Hans Haacke, der auf der Zuschauertribüne sitzt, gratulieren. Ob ihm ein Kunstwerk gelungen ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Darüber sollen auch andere entscheiden. Ein Kunststück hat er allemal vollbracht: Er ist der Erste, dem es gelungen ist, über sein Kunstwerk die Ehre zu haben, eine Debatte im Deutschen Bundestag erzeugt zu haben … mehr
Ulrich Heinrich (F.D.P.)
Wer ausgerechnet im deutschen Parlament den Begriff Volk infrage stellt, darf sich über die kritischen Töne eigentlich nicht wundern. Aber um es vorweg zu sagen: Ich finde die kritischen Töne und Diskussionen ausgesprochen positiv. Dies geht zugunsten unserer demokratischen Kultur und zugunsten der Kunst im Allgemeinen, aber auch der Kunst im Deutschen Bundestag im Besonderen. … mehr
Hanna Wolf (SPD)
So begeistert ich von Anfang an über die Verhüllung des Reichstages durch Christo und Jeanne-Claude war, Haackes Installation kann ich nicht mitgestalten. Bevor ich einige meiner Gründe nenne, distanziere ich mich aufs Schärfste von zynischen, ausländerfeindlichen Sprüchen, die ich leider auch von der Seite einiger gelesen habe, die das Haacke-Konzept ablehnen. … mehr
Dr. Heinrich Fink (PDS)
Alles, was wir im Bundestag entscheiden und als Gesetze festschreiben, ist doch für alle in Deutschland lebenden Menschen und nicht nur die Deutschen verbindlich. Für alle heißt: für die Bevölkerung. … mehr
Hans-Joachim Otto (F.D.P.)
Hans Haackes Projekt überzeugt mich nicht in seiner Ästhetik und schon gar nicht in seiner politischen Symbolik und deswegen möchte ich es nicht in unserem Hause haben. … mehr
Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU)
… Aber diese Minderheit hebt kräftig an und wirft den noch Mächtigen vor, sie seien für die Milliardenbeträge an Sozialhilfe, die wir für Ausländer und Asyl Suchende, die hier nicht hingehören, zahlen müssen, verantwortlich. Ich muss dies beim Namen nennen, weil es Grundtenor nicht nur einzelner Briefe, sondern Hunderter von Briefen ist. Weiter wird gefragt, ob diejenigen, die zugestimmt hätten, nicht sowieso geisteskrank oder von allen guten Geistern verlassen seien. Es wird gefragt: Sollen die Gelben, die Schwarzen, die Türken und die Zigeuner etwa auch dazu gehören? Das wäre der Verrat am Vaterland. … mehr
Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/Die Grünen)
Meiner Meinung nach ist das Spezielle an diesem Projekt, über das wir diskutieren, dass es ein Denkwerk und nicht nur ein Kunstwerk ist. Wir sind es gewohnt, dass Kunstwerke primär an unsere Gefühle, an unser unterbewusstes Assoziationsvermögen appellieren. Demgegenüber schafft Haacke die Herausforderung zur Aufklärung, zum Denken. … mehr
Volker Kauder (CDU/CSU)
Was mussten wir im Vorfeld nicht alles lesen! Die Freiheit der Kunst sei in Gefahr, wenn wir es heute wagen sollten, Nein zu diesem Kunstwerk zu sagen. Wie soll denn die Freiheit der Kunst gefährdet werden, wenn es nur darum geht, zu entscheiden, wo dieses Werk aufgestellt wird? Hans Haacke kann es überall in Berlin aufstellen, nur nicht im Reichstag. … mehr
Wolfgang Thierse (SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kunst ist Freiheit. Lassen wir sie frei! Beweisen wir jene Souveränität, die dem Bundestag im 51. Jahr seines erfolgreichen Bestehens angemessen ist! Reagieren wir nicht mit angstvoller oder heftiger Abwehr, sondern stellen wir uns dem Anspruch und Widerspruch des Kunstprojektes von Hans Haacke! … mehr